Informationsfahrt Konversion am 21. Juni 2011
Neue Flächen, neue Chancen – wie die anderen es gemacht haben
Exkursion zu Konversionsflächen in Karlsruhe, Baden-Baden, Ostfildern
Ein Bus voller Mannheimer Stadträtinnen und Stadträte, Verwaltungsangestellte sowie interessierter Bürger/innen machte sich am längsten Tag des Jahres, am 21.6.2011, auf den Weg zu drei Orten, die die Konversion von ehemals militärisch genutzten Flächen schon hinter sich haben oder mitten drin stecken. Als die Teilnehmer/innen nach fast zwölf Stunden wieder am Mannheimer Rathaus ankamen, waren die meisten zwar erschöpft von der Hitze und der langen Fahrt, aber auch sichtlich erfüllt und angeregt von den Eindrücken, die die Besichtigungen hinterlassen hatten. Initiator und Leiter der Exkursion war Dr. Konrad Hummel, Beauftragter des Oberbürgermeisters für die Konversion.
Erstes Ziel war die Nordstadt in Karlsruhe, Gesprächspartner vor Ort der äußerst agile Karl Nagel, ehemaliger Geschäftsführer der Volkswohnung GmbH Karlsruhe. Diese ist als regionaler Immobiliendienstleister für die Entwicklung und Vermarktung von Konversionsflächen zuständig. 100-prozentige Gesellschafterin ist die Stadt Karlsruhe. Die amerikanischen Armeeangehörigen hatten Karlsruhe schon früh verlassen, so dass bereits 1996 die erste Konversion beendet war und der neue Stadtteil Nordstadt bezogen werden konnte.
Karlsruhe – in die Höhe statt in die Breite
Die Nordstadt ist eine Zusammenlegung der „Amerikanersiedlung“ aus den 1950er Jahren und der „Hardtwaldsiedlung“ aus den 1920er Jahren. Um vor allem Familien eine Alternative zur Abwanderung ins Umland zu bieten, konzentrierte sich die Volkswohnung GmbH auf eine hochwertige Sanierung sowohl bei den Eigentums- wie Mietwohnungen und ließ darüber hinaus Raum für neue Wohnformen. Die ursprüngliche Wohnungsanzahl konnte verdoppelt werden, ohne dass die am Wald gelegene Siedlung etwas an ihrer „Luftigkeit“ hätte einbüßen müssen. Denn es wurden nicht zusätzliche Häuser gebaut, sondern die bestehenden um zwei Etagen aufgestockt. Damit schlug man zwei Fliegen mit einer Klappe, denn die neuen Stockwerke sind andersfarbig und nehmen den Bauten somit den Kasernencharakter. Dazu tragen auch die im Nachhinein angebrachten Balkone bei, ebenfalls in anderen Farben als die Häuserwände gehalten.
Es gibt weder eine Trennung noch Qualitätsunterschiede zwischen Eigentums- und Mietwohnungen. Ein spezielles Mietkaufmodell ermöglicht es, Mieter/innen bzw. potenziellen Käufer/innen, sich erst nach zehn Jahren für oder gegen den Wohnungskauf zu entscheiden.
Die gesamte Infrastruktur der Amerikaner wurde übernommen. So ist beispielsweise in der ehemaligen American Elementary School eine Grund- und Hauptschule untergebracht, in der einstigen Highschool ein Gymnasium.
Starke Identifizierung durch frühzeitige Bürgerbeteiligung
Zum Thema Altlasten meint Karl Nagel: „Gemeinsam mit dem Bund ist es lösbar.“ Er weiß, wovon er spricht: Die amerikanischen Offiziere pflegten mit DDT ihre Häuser zu desinfizieren und 150 Wohnungen waren mit den krebserregenden PAK (Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe) verseucht. Die Evakuierung der Bewohner/innen und die Sanierung kosteten 25 Millionen Euro, wovon die Stadt 12 Millionen zu tragen hatte.
Die Identifizierung der Bewohnerschaft mit ihrem Stadtteil ist, laut Nagel, sehr hoch. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die Bürgerbeteiligung, und zwar von Anfang an. Sehr früh wurden Gesprächsrunden mit der Bürgerschaft, den Bauträgern, Vereinen, der Verwaltung und Politik ins Leben gerufen, um Probleme, Wünsche, Vorstellungen zu erfahren und zu diskutieren. Es fanden regelmäßig Stadtteilkonferenzen statt, eine Gruppe gestaltete gemeinsam mit dem Gartenbauamt mehrere Spielplätze. Während des gesamten Umgestaltungsprozesses koordinierte eine vom Sozialamt unterstützte speziell dafür eingerichtete Stelle die Vorhaben der Bürgerschaft.
Neue Bau- und Wohnformen
Auf dem sieben Hektar großen Kasernengelände Smiley Barracks entstand das neue Quartier „Smiley-West“ mit rund 190 Wohneinheiten. Das Viertel hat Modellcharakter, denn es entstand nach den Vorstellungen der Bewohnerschaft. Nagel nennt dieses Partizipationsverfahren, in dem besondere Wohnformen als Wohneigentum geschaffen wurden, ein gelungenes Experiment – das jedoch in seinen Augen nur gelingen kann, wenn das Grundstück in einer Hand ist. Es hatten sich diverse Bauherrengruppen mit jeweils ähnlichen Vorstellungen zusammengeschlossen und gemeinsam mit dem Bauträger und einem Architekten ihre Pläne – kostengünstig, da in der Gruppe – umgesetzt. Der Bebauungsplan sah maximale Planungsfreiheit in einem vorgegebenen Rahmen vor: Bauträger und Architekten hatten städtebauliche Leitlinien erarbeitet, die Gestaltungsvielfalt erlaubten, gleichzeitig aber für ein einheitliches Gesamtbild sorgten und ökologische Bauweise vorschrieben. Alle Gebäude sind beispielsweise Niedrigenergiehäuser und an ein Nahwärmenetz angeschlossen.
Alternatives Mietwohnprojekt
Ein weiteres interessantes Wohnprojekt in der Nordstadt ist die genossenschaftlich organisierte Mieterinitiative Karlsruhe (MiKA). In vier unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Wehrmachtsgebäuden aus den 1930er Jahren entstanden 86 sozial gebundene 50 bis 200 Quadratmeter große Wohnungen. Durch die Wiederverwendung vorhandener Materialien und Bauteile war der Umbau relativ kostengünstig. Außerdem wurden viele Arbeiten von den Bewohner/innen selber erbracht. Die Bewohnerschaft ist äußerst heterogen; auffallend viele Familien leben hier. Kein Wunder, denn das gesamte Umfeld ist sehr kinderfreundlich: Spielplatz, Hausgärtchen, autofreie Straßen (die MikA ist Mitglied des Carsharing-Verbunds).
Frankreich in Baden-Baden
Nächstes Ziel war Frankreich – pardon, die Cité in Baden-Baden, dem ehemaligen Standort der französischen Streitkräfte. Der Oberkommandierende ließ sich in der einstigen Wehrmachtskaserne nieder, in deren Umgebung im Laufe der 1950er Jahren auf einer Fläche von ca. 40 Hektar Wohn- und Verwaltungsgebäude entstanden. In der Cité lebten bis zu ihrem Abzug im Sommer 1999 rund 8.000 Armeeangehörige mit ihren Familien.
Die Stadt hatte bereits ab 1997 Erwerbsverhandlungen mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) geführt. Im Februar 2000 wurde die Cité für nicht militärische Zwecke frei gegeben. 2001 gründete sich die Entwicklungsgesellschaft Cité mbH (EG), ein Beteiligungsunternehmen der Stadt Baden-Baden, der Volkswohnung GmbH Karlsruhe, der Gesellschaft für Stadterneuerung und Stadtentwicklung mbH Baden-Baden und der Baugenossenschaft Familienheim e. G. Baden-Baden. In der Folge erwarb die EG rund 30 Hektar der Cité. Ihr Sitz ist das ehemalige Offiziershotel mitten in der Cité, das Dienstleistungszentrum „Maison Paris“. Gesprächspartner der Exkursionsgruppe war Holger Glück von der EG.
„Traumhäuser“ im Freistil
Ein 2000/2001 erstellter städtebaulicher Rahmenplan sah eine Mischung von Wohn-, Arbeits- und Ausbildungsnutzung vor. Es sollte Wohnraum für 5.000 Einwohner geschaffen werden; für 3.000 ist bis dato Wohnraum entstanden. Die französischen Straßen- und Quartiersnamen wurden beibehalten. Die Cité besteht aus drei „Quartiers“, der Cité Paris, Cité Normandie und Cité Bretagne. Etwa 70 Prozent der Gebäude in der im Osten gelegenen Cité Paris wurde trotz guter Bauqualität, so Holger Glück, abgerissen, weil sie den heutigen Wohnansprüchen nicht mehr entsprachen und eine Instandsetzung kostenaufwändiger gewesen wäre als der Abriss und die Neubebauung. Es entstanden u. a. Eigenheime (70 Prozent), überwiegend Einfamilienhäuser im „Freistil“, was teilweise wie eine Ansammlung von „Traumhäusern“ anmutet. Prägend für die Cité Paris sind außerdem die unter Ensemble-Denkmalschutz stehenden ehemaligen Generalsvillen und Offiziershäuser. Die Cité Bretagne im Westen wurde nahezu komplett abgerissen; das Gelände ist jetzt Baugrund.
Vieles ist getan, einiges ist noch zu tun
Im Gewerbepark im Nordwesten der Cité hat sich ein riesiges Fachmarktzentrum etabliert. Die Kirche der Franzosen teilen sich heute nicht nur Protestanten und Katholiken, sondern sie ist auch Synagoge. In den Gebäuden des ehemaligen Gymnasiums am Wald siedelte sich die Europäische Medien- und Event-Akademie (EURAKA) an. In ihrer Nachbarschaft finden sich diverse Firmen aus der IT- und Medienbranche. Das Bundesagentur für Arbeit hat sich in der Cité niedergelassen, der ADAC, Büros, Anwaltskanzleien, Arztpraxen.
Einzig in der Cité Normandie, zwischen Paris und der Bretagne gelegen, sieht es recht triste aus. Ein „sozial schwieriges Viertel“, nennt Karl Nagel es. Hier hat man die alten Kasernengebäude lediglich renoviert und auf den Markt gebracht. 70 bis 80 Prozent der Bewohnerschaft sind Aussiedler/innen. Der Vorsatz der Ghetto-Vermeidung hat hier offensichtlich nicht gegriffen. Daran wird sich voraussichtlich in absehbarer Zukunft auch nichts ändern, denn fast alle Wohnungen sind wegen des geringen Kaufpreises Eigentum.
Ein weiterer Dorn im Auge ist das ehemalige Verwaltungsgebäude der Franzosen, ein immenses unter Denkmalschutz stehendes Hochhaus aus den 1950er Jahren, das bereits mehrmals den Besitzer wechselte, ohne jemals eine neue Funktion bekommen zu haben.
Ostfildern – aus einem Guss
Wenn Herbert Rösch, Oberbürgermeister a. D. von Ostfildern, vom Dach „seines“ Stadthauses auf „seinen“ Scharnhauser Park blickt und über die Entstehungsgeschichte dieses jüngsten Stadtteils von Ostfildern berichtet, dann sieht und hört man bei diesem sonst eher bescheiden wirkenden Mann Stolz auf das, was er geschaffen und geschafft hat: „Es war der Versuch, Modernität in ländliches Gebiet zu bringen.“ Das ist gelinde gesagt untertrieben.
Ostfildern, zwischen Stuttgart und Esslingen gelegen, ist mit 37.000 Einwohnern eine Kleinstadt inmitten von kleinflächigen Feldern. Der hypermoderne Stadtteil Scharnhauser Park, der 2006 den Deutschen Städtebaupreis erhielt, entstand auf geschichtsträchtigem Boden: 1817 bis 1928 Königliches Gestüt, dann Wehrmachts-Fliegerhorst, schließlich Sitz der US-Kaserne „Nellingen Barracks“. Die Amerikaner zogen 1992 ab und die Stadt kaufte der BImA das 140 Hektar große Gelände nach „mühseligen Verhandlungen“ (Rösch) ab. Von 1993 an wurde ein städtebaulicher Entwurf entwickelt – die Besonderheiten des Geländes (leichtes Südgefälle) und die in den 1990er Jahren herrschende Wohnungsnot im Auge. 1996 begannen die Abbruch- und Neuarbeiten. Im Gegensatz zu den anderen beiden besichtigten Konversionsflächen wurde hier alles – außer dem denkmalgeschützten Fliegerhorst – abgerissen und neu gebaut. „Es hat nicht mehr gepasst“, kommentiert Herbert Rösch knapp. Entstanden ist eine ökologische, familienfreundliche Modellsiedlung mit kompletter Infrastruktur, teilweise avantgardistisch anmutenden Gebäuden und einer Bürgerschaft, die sich in hohem Maße mit ihrem Stadtteil identifiziert. 80 Prozent der Wohnungen sind Eigentumswohnungen, 20 Prozent Mietwohnungen. Die Wohnflächen waren schneller verkauft als geplant, sagt Herbert Rösch. 95 Prozent der rund 8.000 in Scharnhauser Park lebenden Menschen kommen aus einem Umfeld von zehn Kilometern.
Dichte Bauweise – große Freiflächen
Neben Reihenhäusern finden sich Quartiere mit Geschosswohnungsbau, Einzelhandel, Gastronomie, ein Marktplatz und ein Gewerbegebiet (Scharnhauser Park verfügt über etwa 2.500 Arbeitsplätze). Alle Wohnungen sind altersgerecht gebaut.
Auffällig ist die sehr dichte Bauweise, der jedoch weite Freiflächen gegenüberstehen. So genannte Bürgergärten und eine Kastanienallee bilden einen kleinen Stadtpark. Am beeindruckendsten ist sicherlich die 1,5 Kilometer lange Landschaftstreppe als grünes Rückgrat des Stadtteils – ein öffentlicher Park mit Blick auf die Schwäbische Alb. Der westliche Teil des neuen Stadtquartiers ist Landschaftsschutzgebiet; von den angrenzenden Siedlungen und Häusern aus sieht man Kinder in die Felder springen. Das Quartier wurde von Anfang an als „Kinderparadies“ konzipiert, mit vielen Spiel- und Freizeitmöglichkeiten – und wenig Autos. Die Stadtbahn sorgt für eine gute und schnelle Anbindung an Stuttgart, Esslingen und Umgebung. „Autos dürfen nur rein, wenn sie hier was zu suchen haben“, sagt Rösch.
Mit Superlativen zum Ziel
Ein weiteres Merkmal des Quartiers sind die Flachdächer und die vorgeschriebene Niedrigenergiebauweise. Alle Gebäude sind gen Süden ausgerichtet. Ein Holzheizkraftwerk liefert Wärme und Strom; „gefüttert“ wird es mit Holzpellets und Gartenabfällen. Das Regenwasser wird oberirdisch abgeleitet und geht nicht in die Kanalisation, sondern in die Felder.
Markant ist das (ebenso wie die Schule am Park) mehrfach für Städtebau und Architektur ausgezeichnete Stadthaus aus Sichtbeton und Glas. Der Berliner Architekt Jürgen Mayer hat es als multifunktionalen Kommunikationsraum konzipiert: Es ist Rathaus und Bürgerhaus zugleich, Servicezentrum und Treffpunkt, es bietet offene Bürgerräume, beherbergt eine Kunstgalerie, die Stadtbücherei, VHS und eine Musikschule.
Herbert Rösch gibt den Mannheimer/innen noch etwas mit auf den Heimweg, was bei der Konversion absolut notwendig sei: sorgfältig und mit höchstem Anspruch planen und bauen, nur mit den besten Partnern zusammenarbeiten, Wettbewerbe international ausschreiben, unabhängige, kompetente Jurys einberufen – und von Anfang an die Bürger/innen miteinbeziehen. Fügen wir noch Mut hinzu.
Nadja Encke
Zusätzliche Quellen:
http://www.karlsruhe.de
http://innen-bw.de
http://www.cite-baden-baden.de
http://www.ostfildern.de
Broschüre Ostfildern, Hrsg.: Stadt Ostfildern