80 Jahre Verantwortung für Frieden und Demokratie
Am Gründonnerstag, 29. März 1945, besetzten US-amerikanische Truppen Mannheim. Das nationalsozialistische Regime war in Mannheim zu Ostern 1945 besiegt, bis 8. Mai 1945 auch im Rest Europas. Die Folgen der NS-Zeit waren sichtbar sowohl in der Zerstörung des Landes, in der Trauer um die vielen Toten wie auch der körperlichen Versehrtheit vieler Menschen. Sie waren aber auch spürbar in Traumata, die noch über Jahrzehnte Politik und Gesellschaft prägten. Europa erlebte in der Folge seine längste Friedenszeit. Mannheim wurde wieder aufgebaut und entwickelte sich wieder zu einer lebendigen und weltoffenen Stadt. All das war im Frühjahr 1945 weder absehbar, noch besonders wahrscheinlich. Demokratie und materieller Wohlstand waren keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Gerade die jüngsten Ereignisse zeigen deutlich, wie wenig selbstverständlich und wie gefährdet die Errungenschaften der Jahre nach 1945 sind: ein zunehmend konfliktbehafteter, von Intoleranz geprägter öffentlicher Diskurs, Erfolge populistischer Parteien, die mit scheinbar einfachen Lösungen Zweifel an der Demokratie schüren; Gewalttaten Einzelner, von denen Mannheim allein in den vergangenen zwölf Monaten zwei erleben musste – all das verunsichert die Menschen. Und auch der Frieden ist keine Selbstverständlichkeit – in Europa, im Nahen Osten und vielen anderen Ländern werden brutale Kriege geführt.
Umfangreiches Programm: Rückblick und Mahnung zu Freiheit und Frieden
Unter dem Titel „1945-2025: 80 Jahre Verantwortung für Frieden und Demokratie – Erinnern, Verstehen, Gestalten“ hat die Stadt Mannheim daher in Kooperation mit Kirchengemeinden, der Jüdischen Gemeinde, Vereinen, Kulturakteurinnen und -akteuren und weiteren Partnern für den Zeitraum ab Ende März bis in den Juni hinein ein umfangreiches Programm zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor achtzig Jahren zusammengestellt. Die verschiedenen Veranstaltungen blicken dabei nicht nur auf die damaligen Ereignisse zurück. Sie sind auch eine Mahnung, sich selbst zu engagieren.
Vorträge, Filmvorführungen, Stadtrundgänge, Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie weitere Formate laden ein, sich zu informieren, zu erinnern und aktiv zu werden; aber auch der künstlerische Umgang mit dem Thema in Form von Musik, Literatur oder Gedenken sind Teil des Programms. Eingeschlossen sind Themen wie Deportation, Arbeiter und Frauen im Widerstand, jüdisches Leben und amerikanische Geschichten in Mannheim. Angeboten werden auch Workshops zur Demokratie heute.
„Das Gedenken an das Ende des 2. Weltkriegs ist für uns Verpflichtung, uns für das einzusetzen, was frühere Generationen erkämpft haben. Daher verbindet das Programm zum 80. Jahrestag einen umfassenden Rückblick mit dem Appell, auch künftig für ein friedliches Miteinander in Freiheit und Demokratie einzustehen“, erklärt Oberbürgermeister Christian Specht und betont: „Die europäische Einigung ist eine unschätzbar wertvolle Errungenschaft nach dem unfassbaren Zivilisationsbruch im 2. Weltkrieg – an ihr müssen wir gemeinsam mit unseren Partnern ständig weiter arbeiten.“
Das Veranstaltungsprogramm wurden in enger Kooperation mit dem MARCHIVUM – Haus der Stadtgeschichte erarbeitet. Auf der Webseite www.kriegsende-mannheim.de sind alle Programmpunkte mit detaillierten Informationen aufgeführt.
Der Verein „Mannheimer Runde e.V.“ und die MVV Energie AG unterstützen die Reihe.
Ausstellung GEGEN DAS VERGESSEN
Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe und in der Mitte der Stadt, vor dem Wasserturm, steht die Ausstellung GEGEN DAS VERGESSEN des Mannheimer Fotografen und Filmemachers Luigi Toscano, dessen Porträts von Überlebenden der NS-Verfolgung weltweit Aufsehen erregt haben. 60 großformatige Porträts werden dort von Freitag, 25. April, bis Sonntag, 11. Mai, den Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung ein Gesicht und eine Stimme geben. Ihre eindrucksvollen Porträts sind Mahnung und Appell zugleich – für eine Gesellschaft, die auf Vielfalt, Respekt und Menschlichkeit baut. Die Ausstellung am Wasserturm ist kostenlos und frei zugänglich. Die Ausstellung GEGEN DAS VERGESSEN wurde bereits 2015 an der Alten Feuerwache sowie auch in diesem Jahr, wesentlich durch das Kulturamt Mannheim unterstützt. Schülerinnen und Schüler des Moll-Gymnasiums bieten Führungen durch die Ausstellung an. Der Aktionsfonds "Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsradikalismus, Muslimfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiziganismus“ der Stadt Mannheim fördert dieses Schülerprojekt.
„Luigi Toscanos Ausstellungsprojekt GEGEN DAS VERGESSEN setzt sich von Beginn an sehr erfolgreich für demokratische Grundwerte und eine vielfältige Gesellschaft ein. Als eine in dieser Form einzigartige Sammlung menschlicher Schicksale ist die Ausstellung ein kraftvolles Vermächtnis an nachfolgende Generationen“, unterstreicht Kulturbürgermeister Thorsten Riehle. „Aufgrund der Relevanz dieses Themas ist für die Ausstellung in Luigi Toscanos Heimatstadt kein anderer Ort besser geeignet, als direkt am Wahrzeichen und in der Mitte unserer Stadt, am Mannheimer Wasserturm“, führt Riehle weiter aus.
„Vor zehn Jahren wurde die Ausstellung GEGEN DAS VERGESSEN in Mannheim erstmals gezeigt. Die Auseinandersetzung mit den Biografien der Überlebenden ist heute, in einer Zeit, in der um die Anerkennung von Wahrheiten und Erlebtem gerungen wird, wichtiger denn je. Die Reise der Ausstellung durch viele Städte weltweit begann hier in Mannheim – daher schließt sich hier ein Kreis und ich bin dankbar, dass ich mit der Ausstellung einen Teil zur aktiven Erinnerungskultur in Mannheim beitragen darf“, so Luigi Toscano Fotograf, Filmemacher und UNESCO Artist for Peace.
In der aktuellen Ausstellung werden acht Porträts von Menschen mit Bezug zu Mannheim gezeigt. Darunter Zwangsarbeiter, die im Außenlager MA-Sandhofen, einem Außenkommando des Lagers Natzweiler-Struthof, für Zwangsarbeit bei Daimler Benz interniert waren. Auch Amira Gezow, die von 1933 bis 1940 mit ihrer Familie in Mannheim lebte. Ihre Schwester wurde 1940 nach England in Sicherheit gebracht. Sie blieb und wurde mit den Eltern nach Gurs deportiert. 1942, kurz vor der Deportation nach Ausschwitz, konnte Sie mit Hilfe einer Schwester des Roten Kreuzes zu Verwandten in die Schweiz fliehen. Auch Zilli Schmidt, eine der porträtierten Romnja, befindet sich unter den Protagonistinnen und Protagonisten. Sie lebte seit den 1970er Jahren in Mannheim und Ludwigshafen und sprach erstmalig mit 90 Jahren öffentlich über ihre Vergangenheit, die Internierung in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravensbrück und Sachsenhausen.
Über die Ausstellung
Seit 2014 trifft und porträtiert der Fotograf und Filmemacher Luigi Toscano für sein Projekt der Erinnerungskultur Überlebende der NS-Verfolgung. Knapp 500 Begegnungen gab es bereits in Deutschland, den USA, Österreich, der Ukraine, Russland, Israel, den Niederlanden, Frankreich und Belarus. Noch werden es mehr, doch in nicht allzu ferner Zukunft sind persönliche Begegnungen mit Zeitzeugen nicht mehr möglich.
„Wie konnten Menschen anderen Menschen so viel Leid zufügen? Wie können wir verhindern, dass so etwas je wieder geschieht?“ Diese Fragen treiben Luigi Toscano und sein Team an. Der Widerstand gegen Ausgrenzung und Einsatz für Demokratie ist seit Projektbeginn noch dringlicher geworden. Mit GEGEN DAS VERGESSEN gibt der Künstler der Erinnerungskultur ein Gesicht.
Dafür wurde er 2021 als erster Fotograf zum UNESCO Artist for Peace berufen. Statt hinter verschlossenen Türen präsentiert Luigi Toscano die großflächigen Porträts der Überlebenden an zentralen Orten, die für alle zugänglich sind – in Parkanlagen, auf öffentlichen Plätzen oder an Häuserfassaden. Auf diese Weise erreichen die Bilder die Passanten persönlich und emotional, unabhängig von Alter, Herkunft, Sprache oder Bildung. Mehr als zwei Millionen Menschen weltweit konnte GEGEN DAS VERGESSEN so bereits erreichen. Das multimediale Projekt umfasst zwei wichtige Teilprojekte: Der Dokumentarfilm feierte 2019 Premiere beim Seattle International Film Festival und wurde für den Deutschen Menschenrechts-Filmpreis 2020 nominiert. Die zweite Auflage des Bildbands ist Anfang 2020 erschienen.
Ein ganz besonderer Dank gebührt den Überlebenden des Holocaust, die sich für GEGEN DAS VERGESSEN porträtieren ließen. Ohne sie wäre diese Ausstellung nicht möglich. Ihre Stärke ist unvergleichlich, ihr Vertrauen die größte Ehre und Anerkennung
Globale Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen
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