Mannheimer Geschichte(n) erleben
Zeitzeug*innen spielen für den Blick auf die Geschichte unserer Stadtgesellschaft eine wichtige Rolle – nicht jeder Umstand, jedes Ereignis wurde aufgeschrieben oder fotografiert. Auf einem neuen Internetprotal des MARCHIVUM beleuchten Gesprächspartner*innen nicht nur das eigene Leben und das der Familie, sondern sprechen oft auch Schwierigkeiten und Konflikte an, Herausforderungen bei der Wohnungssuche oder im Bildungsbereich, politische Entwicklungen oder das Vereinsleben.
Im Rahmen einer Veranstaltung im MARCHIVUM wurden gestern sowohl das Internetportal als auch die Dokumentation der Mannheimer Migrationsgeschichte vorgestellt. Anschließend kamen in einer Podiumsdiskussion die Zeitzeug*innen selbst zu Wort. Charisios Tzellos, Sebastiano Micelisopo, Nazan Kapan und Binaey Taneri erzählten ihre Geschichte.
Oberbürgermeister Christian Specht betonte in seiner Rede die Bedeutung der Mannheimer Erklärung: „Toleranz, Respekt und wechselseitiges Verständnis sind für den Zusammenhalt unserer Stadtgesellschaft elementar. Das Selbstverständnis eines Zusammenlebens im Geist der Offenheit und der Verständigung gilt es zu bewahren und aktiv fortzuschreiben“, erklärte der OB. Die Geschichte Mannheims zeichne sich von Beginn an durch ein hohes Maß an Vielfalt aus, bedingt durch ein ständiges Kommen und Gehen: „In Mannheim traf immer wieder neu auf alt, immer wieder mussten sich Ankommende wie auch bereits hier Wohnende aufeinander einlassen, immer wieder musste die Gegenwart neu ausgehandelt werden. Dies mag auf den ersten Blick selbstverständlich oder gar banal erscheinen und für jedes Gemeinwesen hier in Deutschland gelten. Allerdings zeigt die Mannheimer Stadtge-schichte, wenn man sie mit einem Graphen, einem Diagramm beschreiben möchte, außergewöhnlich hohe Ausschläge nach oben wie nach unten. Denn wiederholt in der Vergangenheit wurde die Stadt vollkommen oder zu großen Teilen zerstört und dann jedes Mal wiederaufgebaut – und das immer mit der Hilfe herbeigerufener Zugewanderter“, betonte der OB die Bedeutung von Zuwanderung für die Stadt.Migration sei Mannheim quasi in die Wiege gelegt worden unterstrich der OB im Hinblick auf die Stadtprivilegien von 1607.
Für die Aufarbeitung der Migrationsgeschichte spielten Zeitzeuginnen- und Zeitzeugen-Interviews eine wichtige Rolle, so der OB: „Häufig sind die individuellen Lebensgeschichten zwar fest in den Köpfen verankert und werden von Generation zu Generation mündlich weitertradiert. Doch schriftlich niedergelegt und für breitere Kreise abrufbar ist dieses Wissen häufig nicht. Dabei handelt es sich hier um zwar subjektive, aber höchst wertvolle Quellen zur Entwicklung unserer Stadtgesellschaft. Jede Zeitzeugin und jeder Zeitzeuge leistet einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung der jüngeren Mannheimer Stadtgeschichte. Über das Internet ist dieser Teil unserer gemeinsamen Geschichte für jede Mannheimerin und jeden Mannheimer leicht zugänglich und direkt erfahrbar.“, erklärte der Oberbürgermeister.
So erzählt der Zeitzeuge Charisios Tzellos, wie „der Vater plötzlich weg war.“ Als er selbst an einem grauen Novembertag in Mannheim ankam, staunte er nicht schlecht. Eine Straßenbahn hatte er in seinem behüteten griechischen Heimatdorf bis dato nicht gesehen. Nazan Kapans Bericht lässt nur erahnen, welche Willenskraft es braucht, um sich als junge Frau von traditionellen Rollenmustern zu emanzipieren. Und Binaey Taneri und Kamr Derbas schildern in beeindruckender Weise, wie die dritte Generation engagiert und selbstbewusst das Beste aus den Kulturen für sich fruchtbar macht. Sie alle entfalten ein spannendes und bemerkenswertes Kaleidoskop Mannheimer Migrationsgeschichten, die vom Nordirak über den Libanon und die Türkei, Griechenland, den Kosovo, Kroatien, Italien, Spanien bis nach Finnland und schließlich in die Quadrate an Rhein und Neckar führen – und deren Horizont noch lange nicht ausgeschöpft ist.
Weitere Infos unter https://www.marchivum.de/de
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