Entwickler Friedrich Bergius erhält 1931 gemeinsam mit Carl Bosch den Nobel-Preis für Chemie
Benzin aus Kohle: industrielle Produktion startet in Mannheim
Vor und während des Zweiten Weltkrieges wurden Hydrierwerke, etwa in Leuna, errichtet. Später spielte das Verfahren – aufgrund sprudelnder Rohölquellen – kaum noch eine Rolle. Heute jedoch gewinnt Kohlebenzin allmählich wieder an Bedeutung.
Friedrich Bergius, der 1884 in Goldschmieden bei Breslau zur Welt kam, wuchs sozusagen in der Chemiefabrik seines Vaters auf. Denn bereits als Schüler machte er sich vor Ort mit chemotechnischen Prozessen vertraut. Bevor er 1903 dann folgerichtig sein Chemie-Studium an der Breslauer Universität aufnahm, verbrachte er sechs Monate an der Ruhr, um Erfahrungen in einer Hüttenanlage zu sammeln.
In Leipzig setzte Bergius nach dem Militärdienst sein Studium fort, arbeitete dort an seiner These „Über absolute Schwefelsäure als Lösungsmittel“. 1907 wurde er hier auch promoviert. Die lebendige wissenschaftliche Atmosphäre in den Laboratorien, heißt es in „Les Prix Nobel“, regte ihn zu einer wissenschaftlichen Karriere an, zuerst in Berlin, dann in Karlsruhe. Was Forschung für ihn bedeutete, das erläutert Bergius anlässlich der Verleihung des Nobel-Preises 1931 in Stockholm. „Das Haus, in dem ich meine erste Ausbildung als Chemiker erhielt, das Laboratorium der Universität Breslau, trug in seiner Eingangshalle den Wahlspruch ‚Suche die Wahrheit und frage nicht, was sie nützt’.“ Dieser Lehre sei er später „untreu“ geworden. Wollte er doch Erkenntnisse suchen, die der Menschheit nützten.
1909 entwickelte Bergius in Hannover eine praktikable Methode für die Laborarbeit mit hohen Drücken, gründete 1910 sein eigenes privates Labor und brachte das „Bergius-Verfahren“ zur Reife: Braunkohle oder jüngere Steinkohle wird mit Schweröl angeteigt und bei einem Druck von 300 bar und einer Temperatur von 450-500 Grad Celsius mithilfe von Katalysatoren mit Wasserstoff zur Reaktion gebracht. Reaktionsprodukte sind Schweröle, Mittelöle, Benzin und Gase.
Die Labor-Methode allein stellte den leidenschaftlichen Chemiker, Entwickler und Fabrikantensohn allerdings nicht zufrieden. Bergius wollte sein Verfahren industriell anwenden, wollte produzieren. In dieser Situation wurde Karl Goldschmidt auf ihn aufmerksam. „Da hatten sich zwei gefunden“, kommentiert Ralf Peters, Archivar der Goldschmidt GmbH des RAG-Konzerns. „Karl Goldschmidt war felsenfest von der fortschreitenden Motorisierung überzeugt, investierte ebenfalls in den Flugzeugbau.“ So holte er Bergius 1913 zur Th. Goldschmidt AG nach Essen, dort avancierte der Chemiker und Entwickler zum Forschungsleiter, wurde später stellvertretendes Vorstandsmitglied.
1912 hatte die Gesellschaft ein großes Gelände in Mannheim-Rheinau erworben, 1916 begannen dann im dort neu errichteten Werk groß angelegte Versuche. Fünf Millionen Goldmark investierte Goldschmidt – für damalige Verhältnisse eine immense Summe. Dennoch reichte die Investition nicht aus. „Die Produktion wurde unter dem Druck des Ersten Weltkrieges forciert“, berichtet Ralf Peters, „daher ist man vom Labor direkt in die Industrieanlage eingestiegen, hat die Technikumsphase weggelassen. Man hätte mehr Zeit haben müssen“. Als dann die Mittel erschöpft waren, bevor das Verfahren die Betriebsreife erlangte, hatte der Kaufmann Karl Goldschmidt den Glauben an die Entwicklung verloren. 1924 übernahm der IG-Farben-Konzern die Patente, großtechnisch umgesetzt wurde die Kohleverflüssigung erst in den 1930er Jahren im Werk Leuna.
Von der Zeit an widmete sich Bergius in Rheinau der Aufgabe, Zucker aus Holz-Zellulose zu gewinnen, sozusagen als zweiter Teil seines Lebenswerkes. 1921 zog er nach Heidelberg, wo er enge Kontakte zur Universität pflegte, ein Haus mit regem wissenschaftlichem und geistigem Austausch führte. Kaum eine Ehrung, die er nicht erhalten hat: den Doktor phil. der Universität Heidelberg etwa, die Ehrendoktorwürde der Universität Hannover; ihm wurde die Liebig-Medaille verliehen und er saß im Aufsichtsrat vieler Vereinigungen und Unternehmen. 1931 dann teilte er den Nobelpreis mit Carl Bosch, den beide für die Erfindung und Entwicklung chemischer Hochdruck-Methoden erhielten. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand Bergius in Deutschland kein adäquates Betätigungsfeld mehr. Er emigrierte nach Argentinien und starb 1949 in Buenos Aires.
Kohleverflüssigung, mit dem Bergius-Pier-Verfahren oder der Fischer-Tropsch-Synthese – bei Letzterer wird Kohle zuerst in Gas umgewandelt – spielt in Deutschland schon lange keine Rolle mehr. In Südafrika hingegen wird ein Großteil des Kraftstoffs durch die Weiterentwicklung Ctl (Coal to liquid) abgedeckt, die amerikanische Luftwaffe testet derzeit flüssige Kohle, China plant zwei Anlagen. Nur in Deutschland, im Entwickler-Land, wird die Kohleverflüssigung ignoriert, bemängelt die Techniker-Zeitung VDI-Nachrichten in einem Artikel. Das allerdings könnte sich ändern, heißt es, – bei steigenden Rohölpreisen und versiegenden Ölquellen.