Nationaltheater
Die durch den Kurfürst Karl Theodor 1777 gegründete Institution des Nationaltheaters hatte ihr erstes Theatergebäude im umgebauten ehemaligen Zeug- und Schütthaus des frühen 18. Jahrhunderts, auf dem heutigen Schillerplatz im Quadrat B 3. Das Ensemble unter dem damaligen Intendanten Dalberg gab 1779 sein Debut und gelangte mit der Uraufführung von Schillers »Die Räuber« zu deutschlandweitem Ruhm. Nach der Zerstörung des Gebäudes im Zweiten Weltkrieg wurde ein Wiederaufbau des Hauses wegen der beengten räumlichen Verhältnisse nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Als die Konzeption eines »Schlosstheaters« schon bald nicht mehr den gewandelten Bedürfnissen und Ansprüchen der im Aufbau begriffenen Stadt entsprach, führte die Suche nach einem neuen Standort zum Goetheplatz.
Das verkehrsgünstig an der Ringstraße liegende Areal war im Zusammenhang mit dem planmäßigen Ausbau der Oststadt Ende des 19. Jahrhunderts entstanden; zeitweise als Tennisplatz genutzt, wurde es im Zweiten Weltkrieg mit einem Tiefbunker, der heute als Theaterdepot dient, unterbaut. – Für die Gewinnung von Entwürfen schrieb die Stadt 1953 einen Wettbewerb aus. Das innovative Raumprogramm galt einem Doppelbau mit einem Großen Haus für die Oper und einem Kleinen Haus für das Schauspiel. Vier Mannheimer und sechs auswärtige Architekten, darunter Ludwig Mies van der Rohe in Chicago und Hans Scharoun in Berlin, waren eingeladen. Aufsehen erregte insbesondere der Mies‘sche Entwurf eines kastenförmigen Baus aus Stahl und Glas, der in eine Fachwerkbinder-Konstruktion eingehängt ist. Änderungen im Raumprogramm bedingten eine zweite Wettbewerbsstufe, in die neben Otto Ernst Schweizer, Karlsruhe, und Rudolf Schwarz, Köln, auch Mies van der Rohe eingeladen wurden.
Schließlich ging der Auftrag an den Frankfurter Architekten Gerhard Weber, der nachträglich in die Konkurrenz aufgenommen worden war. – Die Ausführung basiert auf einem trapezförmigen Grundriss mit einer Länge von 133 m und einer Breite von ca. 41 bzw. 55 m. Oper und Schauspiel liegen einander gegenüber. Als Verbindung dient das gemeinsame Foyer, das die Mitte des Erdgeschosses einnimmt. Der Außenbau präsentiert sich als langgestreckter monolithischer Körper, den heute zwei Bühnentürme überragen. Ursprünglich besaß nur das Opernhaus einen Turm; der zweite Turm stammt aus der Mitte der 90er-Jahre, lässt sich jedoch auf den Konkurrenzbeitrag Webers zurückführen, da dieser zunächst auch für das Schauspielhaus einen Bühnenturm eingeplant hatte. Im Unterschied zum Mies’schen Entwurf ist das Erdgeschoss verglast, während das darüber auskragende Obergeschoss durch eine Verkleidung mit Travertinplatten nahezu vollständig geschlossen ist. Nur die beiden Schmalseiten im Osten und Westen zeigen auch im Obergeschoss Transparenz, so dass sich das Gebäude zur Innenstadt und zum Unteren Luisenpark öffnet. Beide Seiten fallen auch durch die klassische Gliederung in eine breite Mittelzone und zwei schmale Seitenzonen auf. Letztere sind über die abgesenkte Mittelzone erhöht und bewirken so den repräsentativen Habitus, der an der stadteinwärts gerichteten Westfassade durch das Mosaikfries mit Theatermotiven des Frankfurter Künstlers Hans Leistikow weitergeführt ist. An den Längsseiten dienen die im Erdgeschoss freistehenden, im Obergeschoss in die Wand eingebundenen Außenpfeiler des konstruktiven Skeletts als vertikale Gliederung.
Den Eingangsbereich bildet ein mittig vor die Südfassade gestellter gläserner Pavillonbau. – Das Innere des Theaterhauses folgt dem Grundsatz klarer Raumorganisation und einfacher Konzeption unter weitest gehendem Verzicht auf jeden „Ausstattungsluxus“. Das Große Haus ist mit insgesamt 1.200 Plätzen und einer Drehbühne von 17 m Durchmesser ausgestattet. Das Kleine Haus mit 600-800 Plätzen ist als Guckkastentheater konzipiert.
(Quelle: Architekturführer Mannheim; Dietrich Reimer Verlag; Hrsg. Stadt Mannheim, Autor: Andreas Schenk)
Beurteilung der Jury:
Ein ebenerdiges großes Foyer, das als bedachter Teil des Stadtraumes wirkt, zwei Säle und einfachste Materialien, überlegt kombiniert mit edleren, schaffen mit schlichten Mitteln eine angenehm selbstverständliche Großzügigkeit. Ein sympathisch-qualitätsvolles Haus ohne Pathos und Hemmschwellen, ein „Bürgertheater“, das noch heute über seine Entstehungszeit in den 50er-Jahren erzählt, dabei durch seine konzeptionelle Klarheit nahezu zeitlos anmutet und dem man wünschen möchte, dass die umgebenden Freiflächen diese Stärken noch erfahrbarer machen mögen.